Beschreibung
Die Astrologie der Geburts-Horoskope ist sehr wahrscheinlich im 2. Jhdt. v. Chr. in Ägypten in einem bilinguen griechisch-ägyptischen Milieu entstanden. Sie war eine neuartige Form von Divination, in welcher aristotelische Physik mit babylonisch-ägyptischer Tempelwissenschaft kombiniert wurde. Ihr Auftauchen bezeugt einen akutgewordenen Bedarf an Reflexion von individueller Wesensart, sie schafft im Horoskop ein Formular menschlicher Singularität, das mit physikalisch fixierbar globalen Parametern operiert. In diesem Formular der "Gebürtlichkeit" wird Individualität als mundaner Sachverhalt objektiviert. Menschliche Individualität ist somit kein Exklusivmerkmal der Moderne, sondern das vor- oder gar antimoderne und zugleich globale Format einer fatalen Weltbindung menschlicher Subjektivität.
Das Horoskop entsprach wohl einem Bedürfnis gemischtkultureller Eliten nach Identität jenseits kollektiv kultureller Differenz, und sie mag zudem das fadenscheinig gewordene Fremd-Königtum der späten Ptolemäer in seiner traditionellen Funktion des Horizonts, der das Menschliche mit dem theophanen Kosmos verbinden sollte, theoretisch-systematisch kompensiert haben. Der König wird in dem astronomisch realen Formular des Horoskops durch das fatale Individuum in seiner "Nativität" ersetzt.
Autorenportrait
Alfred Schmid:
Alfred Schmid promovierte 2005 in Basel mit einer Dissertation zur politischen Funktion antiker Astrologie ("Augustus und die Macht der Sterne"). Weitere Schwerpunkte seiner Forschung waren die griechische Historiographie, das Königtum, die Geschichte des Naturbegriffs, die Geschichtsreligion im 19. Jahrhundert sowie der Vergleich mit Altchina. Er war von 2000 bis 2022 an verschiedenen schweizerischen und deutschen Universitäten in Lehre und Forschung tätig und gehörte auch zu den Herausgebern mehrerer Bände der kritischen Edition der Werke Jacob Burckhardts.
Das vorliegende Buch ging aus einem Förderprojekt der DFG hervor, mit der Projektnr. 3976011187.