Beschreibung
Autorinnen wie Virginia Woolf, Marlen Haushofer, Ingeborg Bachmann und Elfriede Jelinek sowie Künstlerinnen wie Birgit Jürgenssen, Francesca Woodman, Monica Bonvicini, Veruschka von Lehndorff, Orshi Drozdik und Gabriele Stötzer haben sich in ihren Texten, Fotografien und (Video-)Installationen auffallend häufig mit dem vieldeutigen Motiv der Wand auseinandergesetzt, indem sie ihr eigenes Verschwinden in Szene gesetzt, sich an Wänden abgearbeitet oder sie zu Projektions- oder Schreibflächen erklärt haben. Geschickt verknüpfen sie dabei geschlechterkritische mit ästhetischen Fragestellungen. Die Wand steht einerseits für das Subjekt einschränkende Begrenzungen, andererseits für einen Schutzraum, der vor Störungen der Außenwelt abschirmt und sich zu einem schöpferischen Ort weitet. In den künstlerischen und literarischen Arbeiten fungiert die Wand mal als Leinwand, leeres Blatt oder ,vierte (Theater-)Wand', dann wieder als unsichtbare Barriere, Gefängnis, Verlies oder Sargdeckel. Vor allem ist sie der Schauplatz eines Vermächtnisses, der die weiblichen Figuren in sich aufnehmend umso deutlicher hervortreten lässt. Gerade in ihren Rissen wird die Wand zu einer sprechenden Größe, die mehr offenbart als verbirgt. Sie ist dabei weniger ein reales als vielmehr ein imaginäres Objekt, das paradoxerweise den Zugang zur Außenwelt verschließt, zugleich aber Durch- und Ausblicke erlaubt. Einen Raum einzunehmen, sich in ihm zu positionieren, einen Ort für sich zu finden, ist für die hier vorgestellten Künstlerinnen und Autorinnen keineswegs selbstverständlich. Die subversive Strategie, sich zu vermauern, um sich dadurch erst einen Freiraum und einen freien Blick zu erobern, haben erstaunlich viele von ihnen parallel verfolgt, ohne voneinander zu wissen. Der Band versammelt Beiträge von Wissenschaftler*innen aus den Literatur-, Kultur-, Kunst- und Performancewissenschaften, die sich mit unterschiedlichen Ausformungen des schöpferischen Gegen-die-Wand-Angehens auseinandersetzen. Mit Beiträgen von Julia Boog-Kaminski, Mariama Diagne, Julia Freytag, Astrid Hackel, Andrej Mircev, Julia Prager, Kerstin Roose, Inge Stephan, Alexandra Tacke, Julia Tulke, Anne Vieth und Elena Zanichelli.
Autorenportrait
Julia Freytag (Dr.) hat Neuere deutsche Literatur und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert. Von 2006 bis 2017 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Hamburg, wo sie 2010 mit einer Arbeit über Die Tochter Elektra. Eine verdeckte Figur in Literatur, Psychoanalyse und Film promoviert wurde. Gegenwärtig ist sie Lehrbeauftragte für Deutsch und Theater an einem Hamburger Gymnasium. Astrid Hackel (Dr.) ist Referentin für Forschung und Bildung an der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg. Sie studierte Literatur- und Theaterwissenschaft sowie Museumsmanagement und -kommunikation in Berlin und Toulouse und war Mitglied im Graduiertenkolleg "Geschlecht als Wissenskategorie" sowie im DFG-Forschungsnetzwerk "Aktionskunst jenseits des Eisernen Vorhangs". 2015 wurde sie mit der Arbeit Paradox Blindheit. Inszenierungen des Sehverlusts in Literatur, Theater und bildender Kunst (Neofelis 2017) promoviert. Alexandra Tacke (Dr.) war von 2005 bis 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie 2010 mit einer kulturwissenschaftlichen Arbeit zu Rebecca Horn. Künstlerische Selbstpositionierungen im kulturellen Raum (Böhlau 2011) promoviert worden ist. Seit Januar 2019 ist sie Referentin für Literatur und Filmkunst beim Senator für Kultur in der Hansestadt Bremen. Ihre letzte Monografie trägt den Titel Schnitzlers "Fräulein Else" und die Nackte Wahrheit. Novelle, Verfilmungen und Bearbeitungen (Böhlau 2016).