Beschreibung
Ein wichtiger Akteur in der osteuropäischen Kulturgeschichte im nachrevolutionären Jahrzehnt war der Dichter und Psychotechniker Aleksej Gastev, der mit Hilfe Lenins in Moskau ein Institut für Arbeitsforschung gründete. Aus diesem Institut heraus wurden die Lehre der Biomechanik und das System des Taylorismus in Fabriken, Theatern und im Sport eingeführt. Dabei verkörperte Gastev selbst in sich eine Doppelung: einerseits schrieb er als Dichter mit am futuristischvisionären Entwurf des neuen Menschen, andererseits - und wohl bedeutsamer - war er Agent des harten, subrepräsentativen ergometrischen Diskurses. Gastev ist also Autor sowohl eines grauen Textes aus dem Archiv der Durchformungen, als auch futuristischer Hymniker. Er wird zum Propagandisten des Taylorismus in der UdSSR, d.h. einer rationalen Durchorganisierung der Arbeit, der motorischen Feinanpassung des Arbeiters an die motorischen Vorgaben der Maschine, der rhythmischen Optimierung durch Taktsysteme. Dabei kann man durchaus die These riskieren, dass der neue Mensch von vornherein ganz falsch im Zeitdiskurs verortet ist, wenn man ihn als Ideal versteht; er ist offensichtlich nur ein phantasmatisches Gegenstück des Kranken, des Defekten. Mit neuen biopsychologischen Techniken, durch genau kontrollierte Bewegungen und Effekte, sollte die Effizienz der Bewegungen und der Emotionen um das Vielfache gesteigert werden. Ein Schlüsselbegriff Gastevs ist in diesem Zusammenhang die Einstellung. Er bezeichnet einerseits eine allgemeine kulturelle Einstellung 'als gespannte Aufmerksamkeit, Behändigkeit, Willenskraft, ordnende Disziplin, Arbeit, Organisation'; andererseits aber ist Einstellung die konkrete und okkasionelle Einstellung der Werkbank, und die diesen Vorgaben sich anpassende 'Einstellung' des die Maschine bedienenden Arbeiters. Von hier aus fällt dann auch ein neues Licht auf die avantgardistische Literaturtheorie, innerhalb derer den Begriffen Einstellung und Verfahren eine zentrale Bedeutung zukam. Der Band versammelt und kommentiert Gastevs eingereichte Patente sowie seine poetische und wissenschaftliche Texte. Zusatztext
Autorenportrait
Hans-Christian von Herrmann lehrt als Professor im Fachgebiet Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Literatur und Wissenschaft an der TU Berlin.