Beschreibung
Wenn die Staatsnation im Prinzip ein politisches Projekt ist, das auf universellen Prinzipien beruht, so bestimmt diese gleichzeitig ihr partikuläres Profil über kulturelle Kriterien. Der Sprache und der Literatur wird bei der Konstitution einer nationalen Identität eine zentrale Funktion zugeschrieben. Die unterschiedliche Gewichtung der politischen und der kulturellen Dimension lässt sich sehr gut am Beispiel von Frankreich und Deutschland aufzeigen. Frankreich definierte sich als Nation sehr früh über seine politischen Strukturen. Die Sprache und die Literatur wurden dann aber zu einem wichtigen Attribut der Nation. Deutschland realisierte seine staatliche Einheit sehr viel später. Über Kultur und Literatur entwickelte sich hier zunächst ein vorstaatliches nationales Denken. Im Kontext des Krieges von 1870/71 bestimmtendeutsche Intellektuelle die Nation über ,objektive' kulturelle Kriterien, während man in Frankreich die Nation über das Selbstbestimmungsrecht definierte. Es erweist sich aber als zu summarisch, von einem idealtypischen Gegensatz von ,Staatsnation' und ,Kulturnation' auszugehen. Über eine politik-, sprach- und literaturgeschichtliche Rekonstruktion soll dieser Prozess in seiner historisch bedingten Komplexität ab der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart erhellt werden.
Autorenportrait
Joseph Jurt, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.