Beschreibung
»Hilfslinien, Hilfsfiguren und Hilfskörper sind uns aus der Geometrie und Stereometrie bekannt, sie helfen uns beim Konstruieren, Entwerfen und geometrischen Zeichnen, erweitern unsere Vor- stellungen von Zusammenhängen und verhelfen uns zum Erreichen jener Lösungen, die wir uns als Aufgabe gestellt haben.«
Nach längerer Pause erscheint nun mit dem Band »Das Hilfsfiguren-Projekt | The Auxiliary Figures Project« von Reinhart Buettner wieder ein Buch in der Reihe mono | stereo, ein Buch, das den Kanon des Bild-Text-Konzepts des gutleut verlag nicht nur um eine bedeutende Stimme erweitert, sondern auch eine Sonderstellung einnimmt, da es nicht nur zu einem bildnerischen Exkurs in die Welt der Zeichen einlädt, sondern auch auf einem kunsttheoretischen Fundament basiert. Hierbei ist gerade das Zusammenspiel – einerseits der archaisch dargestellten Zeichen, andererseits das ihrer theoretischen und historischen Einordnung – von entscheidender Bedeutung, denn genau das macht – bei aller Konzeptualität – den Charme des Buches aus.
Hilfsfiguren, laut Reinhart Buettner, haben dienende Funktion und werden meist nach der Fertigstellung einer Konstruktion gelöscht. Man kann sie als ›hilfreiche Medien der Orientierung‹ verstehen oder sie der Klasse der Kommunikationsmittel zuordnen, worin der Symbolismus, die Semiotik und die Diagrammatik als Stifter von Zusammenhängen auftreten, die den Dialog zwischen Mensch und Zeichen zum Thema machen.
Diese zweiseitige Kommunikation ist Voraussetzung jeglicher Erkenntnis, auch wenn die Zeichen nur Schatten sein sollten wie in Platons Höhlengleichnis.
Auf der ersten und untersten Stufe seiner Erkenntnishierarchie siedelt Platon die Eikasía an, ein rätselndes Vermuten, das sich auf unstete und flüchtige Erscheinungen bezieht, wie beispielsweise Schatten oder Spiegelungen – und darum geht es im Hilfsfiguren-Projekt, das dem Rätseln über vorhandene Figuren nachgeht, indem es Zeichen aus ihrem Zusammenhang reißt, ihr Format und Medium verändert und sie aus ihrer Wahrnehmungsgewohnheit löst. Durch diesen ›Kunstgriff‹ werden sie zu ›Kunstwerken‹, zu ›Epistemischen Schatten und Schablonen‹, wie der Untertitel des Objektzyklus heißt. Der Künstler und Theoretiker Reinhart Buettner, der sich bevorzugt im Spannungsfeld zwischen Anschauung und Begriff aufhält, hat mit dieser Sammlung von Flachreliefs einen Hardware-Beitrag zur Kunsttheorie geliefert, der sich u. a. kritisch mit dem Priming und dem Triggern unserer Orientierung und Erkenntnis auseinandersetzt.
Da wir ständig von Zeichen umgeben sind, mit ihnen kommunizieren und von ihnen beeinflusst werden, ist eine Bestandsaufnahme nicht nur hilfreich, sondern geradezu überfällig.
Im Rahmen seiner künstlerischen Daten-, Methoden-, Werkzeug- und Modell-Kritik bereitet Reinhart Buettner konventionelle Zeichen so auf, dass sie als visuelle Aufforderungen in unserem mentalen Alltag sichtbar werden.
»Was wir zu verfechten haben und zu beweisen versuchen müssen, ist die Kunst als kognitive Tätigkeit, dass sie nicht nur eine Verschönerung und Verstärkung sprachlicher Diskurstypen ist. […] sie ist vielmehr eine einzigartige Art von Diskurs, die zu Gebieten des Wissens Zugang gewährt, die anderen Diskurstypen verschlossen sind«, sagt Herbert Read (in Forms of Things Unknown, London, 1960) und sich dabei auf Konrad Fiedler, Susanne K. Langer und Ernst Cassirer beziehend. In dieser Tradition steht das Hilfsfiguren-Projekt und teilt ihren Anspruch.
Schönerweise markiert dieses Buch, Das Hilfsfiguren-Projekt, auch den pandemiebedingten Neustart des gutleut verlag, der nun ausgezeichnet mit dem Deutschen Verlagspreis des Kulturministeriums, weitere Projekte ins Leben rufen wird.
Zunächst aber gilt der Dank dem Künstler und Autor Reinhart Buettner sowie Kunstpunkt Berlin, in persona Heinz-Günter Herpel.