Beschreibung
Was ist normal – was ist absurd? Kann man mit absurden Situationen normal leben? Diesen Spagat musste Heinz Schneider, geb. 1934 in den Sudeten, meistern. Der international anerkannte? Diabetologe erhielt 1998 die höchste Auszeichnung auf seinem Fachgebiet – zum zweiten Mal. Vierzig Jahre zuvor war er aus politischen Gründen zwangsexmatrikuliert worden. Die Autobiografie ist ein beeindruckendes Zeugnis von der konsequenten Verteidigung geradliniger humanistischer Gesinnung gegen die Macht der SED seit den 1950er Jahren bis zum Untergang der DDR.
Rezension
In dem autobiografischen Bericht schildert Heinz Schneider Erlebnisse vorwiegend aus seiner Jugendzeit. Absurd ist das damals Erlebte, mitunter kaum glaubhaft und doch authentisch belegt.Der Eingriff der staatlichen Organe zerstörte beinahe die Entwicklung eines jungen Menschen und Studenten der Humanmedizin. Allein seiner Charakterstärke, seinem Glauben, im Recht zu sein, sowie der Größe seiner Persönlichkeit und seiner Unnachgiebigkeit ist es zu verdanken, dass dieser junge Mann nicht zerbrach, die Auflagen erfüllte und sein Studium zu Ende führte. Eine spannende, eine anklagende Geschichte.Der Autor stammt aus einer kommunistisch gesinnten Familie und erlebte eine entsprechende Erziehung. Seine Einstellung zu dem sozialistischen Staat war anfangs durchaus positiv. Er wollte Soldat, Offizier und Arzt in der DDR werden und hatte sozialistisch gefestigte Ansichten zu den gesellschaftlichen Problemen seiner Zeit.Am Anfang der absurden Begebenheiten war es eher ein ungeheures Missverständnis betr. Adresse und Inhalt eines Briefes nach Berlin (von der Staatssicherheit trotz des Postgeheimnisses geöffnet) – schließlich endete diese Absurdität mit der Exmatrikulation von der Greifswalder Universität, Entlassung aus der Armee und Auflage einer einjährigen „Bewährung in der sozialistischen Produktion“.Das Buch ist lesenswert, informiert über die damaligen Verhältnisse im Osten Deutschlands. Mancher Leser wird betroffen sein zu erfahren, dass solche Begebenheiten überhaupt stattfinden konnten. Es mag allerdings sein, dass die Situation durch die standhafte, möglicherweise in den Augen alter, hoher Armeeoffiziere zu herausfordernd erscheinende Haltung des jungen Medizinstudenten, der es strikt ablehnte, in die SED einzutreten, erschwert wurde.Als ärztlicher Kollege möchte ich zur Abrundung seiner Persönlichkeit auf die weitere Entwicklung von Heinz Schneider eingehen. Seine weitere Lebensgeschichte ist durchaus nicht absurd, sondern positiv und erfolgreich. Sie zeugt von der Festigkeit seines Charakters und der Zielstrebigkeit seines Tuns. Nach Beendigung des Einsatzes in der Produktion und dem erfolgreichen Abschluss des Medizinstudiums an der Greifswalder Universität begann Heinz Schneider zunächst seine ärztliche Tätigkeit in Ludwigsfelde und ab 1961 bis 1963 am Institut für Diabetes „Gerhardt Katsch“ in Karlsburg bei Greifswald. Dort traf ich ihn zum ersten Mal.Ich lernte Dr. Schneider 1963 als einen jungen Stationsarzt in der Klinik des Instituts kennen, der nun zu einer weitergehenden Ausbildung nach Hennigsdorf bei Berlin gehen wollte. Von Professor Gerhard Mohnike, dem damaligen Direktor des Instituts, erhielt er den Auftrag, noch vor seinem Weggang mir als dortigem neuen internistischen Oberarzt, der damals wenig vom Diabetes verstand, speziell die Behandlung des Diabetes mit Insulin beizubringen.Dr. Schneider tat es in hervorragender Weise, präzise, das Wesentliche erläuternd, Ich bekam schon damals den Eindruck einer werdenden beachtenswerten Persönlichkeit. Bei ihm lernte ich die berühmte „Karlsburger Insulintherapie“ kennen.Wieder begegnet bin ich Dr. Schneider nach einigen Jahren als Beratenden Diabetologen („Bezirksdiabetologen“) des Bezirksarztes des Bezirkes Neubrandenburg und zugleich als Chefarzt der Bezirksdiabetesabteilung am Kreiskrankenhaus Prenzlau. Dr. Schneider war einer der 15 Bezirksdiabetologen in der DDR, die das bewährte und international angesehene Diabetesbetreuungssystem der DDR mit aufbaute und durch seine besondere Initiative förderte. So organisierte Dr. Schneider in vorbildlicher Weise in seinem Einzugsgebiet Reihenuntersuchungen und arbeitete mit am Zentralen Diabetesregister der DDR und an der Optimierung der Therapie des Diabetes.Einmalig ist seine Prognosestudie – die längste geschlossene, im Altkreis Neustrelitz durchgeführte Studie der Welt -, eine Studie über das Schicksal eines 1962/63 entdeckten Diabetikerkollektivs, das er über mehr als 47 Jahre im Vergleich zu der nichtdiabetischen Bevölkerung verfolgte und auf wichtige krankheitsfördernde Einflußgrößen untersuchte. Bedeutend sind seine Ergebnisse über den „Verlust an Lebensjahren“ der Zuckerkranken.Zusätzlich konnte er schon damals die Vorteile der frühzeitigen Behandlung mit Insulin belegen, eine jetzt erst durch weitere Studien belegte Option. Weiterhin kamen aus der Arbeitsgruppe um Schneider erste Hinweise über Risikofaktoren und die Multimorbidität der Typ-2-Zuckerkranken. Belegt wurde auch die günstige Rolle eines frühzeitigenScreenings für die Lebenserwartung der Typ-2-Diabetiker. Unbedingt zu erwähnen sind die von Dr. Schneider gegründeten und vortrefflich organisierten, bis 1998 von ihm geleiteten „Prenzlauer Diabetestage“, die einmal jährlich unter Hinzuziehung namhafter Wissenschaftler und Diabetologen als Referenten bis heute stattfinden und sich einer hohen Anerkennung durch die Teilnehmer erfreuen.Seine hohe humane ärztliche Gesinnung zeigt eine ganz besondere Begebenheit: sein Einsatz bei der Behandlung und Betreuung einer russischen Patientin mit einem Krebs der Bauchspeicheldrüse. Besonders ihm ist es zu verdanken, dass das Leben der jungen Patientin erheblich verlängert werden konnte. Noch nach Jahren bedankte sich der Ehemann aus der Ukraine, ein einstiger hoher Sowjetoffizier, bei Dr. Schneider.Nach der politischen Wende und seinem altersbedingtem Ausscheiden als Chefarzt der Diabetesabteilung am Kreiskrankenhaus Prenzlau bleibt Dr. Schneider weiterhin aktiv. Er fand auf dem Gebiet der Medizingeschichte ein wichtiges und erfolgreiches Betätigungsfeld und hat an das Leben und Wirken mancher in Vergessenheit geratenen und in ihren Heimat- oder Betätigungsorten nicht genügend bekannten großen Ärzte und Diabetologen in zahlreichen Publikationen ehrend erinnert. Auf seine Initiative hin wurde anlässlich des 75. Todestages des großen, im Baltikum geborenen Diabetesforschers Oskar Minkowski an seinem Sterbeort im Stadtpark von Fürstenberg/Havel in Anwesenheit des litauischen Botschafters ein Gedenkstein enthüllt. In Gegenwart fast der gesamten Bevölkerung wurde unter seiner Mitwirkung ein monumentaler Gedenkstein zum Andenken an den großen Dresdener Internisten und Diabetologen Otto Rostoski in seinem in der Uckermark liegenden Geburtsort Wendemark feierlich eingeweiht und eine Straße nach ihm benannt. So rundet sich das Bild von Dr. Heinz Schneider als eines aufrichtigen, vielleicht manchmal unbequemen Menschen, der standhaft seinen Überzeugungen treu blieb, strebsam seine Ziele verfolgte und als Arzt und Mensch ein hohes Ethos bewahrte. Seine ganze Lebensgeschichte ist nicht absurd. Er leistete viel für die klinische Forschung und für die Optimierung der Behandlung und Betreuung von Zuckerkranken,.Berlin, März 2011 Prof. Dr. med. Waldemar Bruns Altpräsident der Deutschen Diabetes- Gesellschaft