Beschreibung
Soziologie beschäftigt sich mit dem Menschen als sinnhaft handelndem Akteur - auch die Soziologie des Todes. An einem solchen Akteur kann man beobachten, wie er mit sinnhaften Konstruktionen der Erfahrung seiner eigenen Endlichkeit oder der Endlichkeit der menschlichen Existenz im Allgemeinen begegnet. Das körperliche Versterben selbst bleibt in dieser Perspektive unsichtbar. Die Analyse der praktischen Unterscheidung zwischen Leben und Tod erfordert deshalb eine sorgfältige Umarbeitung des konzeptionellen Rahmens soziologischer Forschung. Gesa Lindemann stellt sich dieser Herausforderung und erprobt die Tragfähigkeit ihrer begrifflichen und methodischen Instrumente anhand der Rekonstruktion der historischen Entstehung des Hirntodkonzepts. Die Studie zeigt im Vergleich der Entwicklung in den USA und in Deutschland, dass die Etablierung des Hirntodkonzepts die wichtigste Veränderung auch in der Funktionsweise der Bestimmung zwischen Leben und Tod darstellt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der genaue Todeszeitpunkt immer unsicherer geworden, denn jeder noch so tot wirkende Körper wurde daraufhin untersucht, ob in ihm noch Leben zu finden sei. Das komplexe Zusammenspiel von rechtlichen Bedingungen mit den Erfolgen der Intensiv- und Transplantationsmedizin führte seit dem Ende der 1950er Jahre zu einer neuen Todesauffassung, die die Grenze zwischen Lebenden und Toten mit dieser beunruhigenden Präzision festlegte: Die allgemeine Anerkennung des Hirntodkonzepts beendete die vorherige Unsicherheit, die vorsichtshalber auch möglicherweise bereits Tote noch zu den Lebenden gerechnet hatte.
Autorenportrait
Gesa Lindemann vertritt eine Professur für Soziologie an der Universität München.
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