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Ökonomie und Gesellschaft / Individuelles Verhalten und kollektive Phänomene

Schmid-Schönbein, Thomas / Schneider, Johannes
Erscheinungsjahr: 1990
CHF 34,80
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783895189883
Sprache: Deutsch
Umfang: 309
Format (T/L/B): 20.0 x 13.0 cm

Beschreibung

Inhalt Peter Weise: Der synergetische Ansatz zur Analyse der gesellschaftlichen Selbstorganisation Thomas Eger, Peter Weise: Normen als gesellschaftliche Ordner Ekkehart Schlicht: Individuelles Bestreben und kulturelles Gefüge Günter Haag: Die Beschreibung sozialwissenschaftlicher Systeme mit der Master Gleichung Hans-Walter Lorenz: Wirtschaftliche Entwicklung, Determinismus und komplexes Systemverhalten Hans-Günther Seifert-Vogt: Spieltheorie und Wirtschaftswissenschaft Manfred Kraft: Bausteine einer Ökonometrie der Verhaltenslandschaften Editorial Die Beziehungen zwischen individuellem Verhalten und kollektiven Phänomenen sind ein Dauerbrenner der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften - und das nicht zufällig: Denn diese Beziehungen definieren geradezu die Gesellschaft und bilden quasi den Untersuchungsgegenstand und das Identitätsprinzip dieser Wissenschaften. So definieren Ökonomen die Gesellschaft als "eine Anzahl durch Tauschbeziehungen verbundener Individuen" so existiert nach dem Soziologen G. Simmel die Gesellschaft da, "wo mehrere Individuen in Wechselwirkung treten" so ist nach dem Menschenwissenschaftler N. Elias die Gesellschaft "das Interdependenzgeflecht der Menschen". In den Beziehungen, Wechselwirkungen und Interdependenzen der Individuen und den daraus resultierenden kollektiven Phänomenen liegt offensichtlich der Kern der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Wenn das so offensichtlich ist, wird es als wissenschaftliches Thema sicherlich ausgetrocknet, ausgekeimt und abgenagt sein. Weit gefehlt!, müssen wir jetzt rufen, denn sonst wäre das Editorial bereits zu Ende. Das wäre zwar nicht weiter schlimm, aber es bliebe doch ein leichtes Unbehagen über die Notwendigkeit dieses Bandes, das sich möglicherweise zu einem Entschluß, den Band nicht zu kaufen und nicht zu lesen, verdichten könnte. Und das wäre aus unserer Sicht allerdings schade. Aber es gibt noch einen anderen und weit gewichtigeren Grund, sich dieses ehrwürdigen Themas erneut anzunehmen: In letzter Zeit haben sich durch die Weiterentwicklung der Spieltheorie und die Neuentwicklungen von Katastrophentheorie, Chaos- und dynamischer Systemtheorie sowie Synergetik fruchtbare Ansatzmöglichkeiten ergeben, um den Dauerbrenner etwas aufzufrischen und herauszuputzen. Mit diesen Weiter- und Neuentwicklungen beschäftigen sich die Autoren dieses Jahrbuches, indem sie das für das Thema Wesentliche aus diesen Theorien darstellen und die Geeignetheit für die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen individuellem Verhalten und kollektiven Phänomenen überprüfen. Um das Resultat vorwegzunehmen: Der Leser gewinnt eine Fülle neuer Einsichten und erkennt, nicht zuletzt, die Relativität der traditionellen Theorien, des Individualismus und des Holismus. Denn erstaunlich ist es schon, auf welch unterschiedliche Art und Weise sich die Wissenschaftler traditionell diesem Untersuchungsgegenstand annähern. Die Vertreter eines individualistischen Ansatzes schneiden aus dem Interdependenzgeflecht Einheiten als Aktoren heraus, die Personen oder Individuen, geben diesen Handlungsmöglichkeiten und Bewertungsschemata und lassen sie in Wechselwirkungen treten. Unter der Annahme rationalen Verhaltens der Individuen ergeben sich dann auf der kollektiven Ebene konsistente Handlungsgleichgewichte. Kollektive Phänomene sind demzufolge zutreffend erklärt, wenn sie sich als Handlungsgleichgewichte einer Anzahl rationaler Individuen begreifen lassen. Gelingt diese Erklärung nicht auf Anhieb, werden Asymmetrien oder irgendwelche Zusatzkosten angenommen, worauf sie dann im zweiten Anlauf gelingt. Vor allem Ökonomen, aber auch andere, ihnen methodisch nahestehende, Sozialwissenschaftler bedienen sich dieses Ansatzes. So ist der Individualismus unter dem eingeführten Markennamen "ökonomischer Irnperialismus" wie Flußsäure in alle Etagen des sozialwissenschaftlichen Theoriegebäudes eingedrungen und hat dort seine Spuren hinterlassen. Die Vertreter eines holistischen Ansatzes hingegen lassen das Interdependenzgeflecht intakt. Sie konservieren es, geben ihm Namen wie System, Ganzheit oder Struktur und ernennen es zum Handlungsträger. Um zu funktionieren und zu überleben, muß ein System bestimmten Erfordernissen genügen, deren Erfüllung gleichsam die Handlungen des Systems darstellen. Durch Kommunikation sind verschiedene Systeme und Untersysteme miteinander verbunden und produzieren gemeinsam kollektive Phänomene. Diese sind dann korrekt erklärt, wenn sie sich als Resultate des Verhaltens von Systemen unter den Annahmen bestimmter zu erfüllender Funktionen und bestimmter Kommunikationsprozesse herleiten lassen. Gelingt diese Erklärung zunächst nicht, liegt die Ursache hierfür in fehlspezifizierten Systemeigenschaften oder Kommunikationsprozessen; diese Ursache läßt sich per Annahme aber regelmäßig beheben. Gelingt es wider Erwarten dennoch nicht, verbleibt die Klassifizierung als Dysfunktionalität. Vor allem Soziologen, aber auch Rechtswissenschaftler, Politologen und andere bedienen sich dieser Denkmethode. Unter den Ökonomen sind nur einige Makroökonomen dem holistischen Ansatz erlegen und lauschen beispielsweise der Kommunikation zwischen Kapitalkoeffizient und Lohnquote. Zwischen diesen beiden klar definierten und exakten Ansätzen existiert eine Mannigfaltigkeit anderer Vorgehensweisen, die sich eines nicht verträglichen Gemischs dieser beiden Ansätze bedienen; daß derartige Vorgehensweisen nicht explodieren und ihre Vertreter dabei nicht verletzen, kann nur an der schwachen theoretischen Dosis liegen. Es gibt aber auch Vorgehensweisen - der Leser merkt, wir kommen wieder zu den Autoren dieses Jahrbuchs -, die sich um eine verträgliche Mischung und eine theoretisch befriedigende Fundierung bemühen und die beachtenswerte Alternativen für die Untersuchung komplexer kollektiver Phänomene darstellen. Hierzu gehören vor allem, wie oben bereits erwähnt, die Spieltheorie, die Katastrophentheorie, die Chaos- und dynamische Systemtheorie sowie die Synergetik, die alle in diesem Jahrbuch unter dem wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Blickwinkel behandelt werden. Nur am Rande betrachtet wird jedoch die Katastrophentheorie, und dies aus zwei Gründen. Zum einen ist sie bereits ausführlich diskutiert und auf wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Phänomene angewendet worden; sie hat dabei ihre Botschaft bekanntgegeben, und diese ist aufgenommen worden - das ist es dann auch. Zum anderen sind die Herleitungen und Aussagen der Katastrophentheorie sowohl in der dynamischen Systemtheorie als auch in der Synergetik als Spezialfälle enthalten. Die Katastrophentheorie scheint ihrem Namen alle Ehre zu machen, denn so abrupt, wie sie gekommen ist, verschwindet sie auch wieder, einem vielversprechenden jungen Autor gleich, bei dessen zweitern Buch man merkt, daß er im ersten alles gesagt hat, was er zu sagen hat. Eingehend behandelt werden in diesem Band allerdings die Synergetik, die Chaos- und dynamische Systemtheorie - und damit indirekt auch die Katastrophentheorie - sowie die Spieltheorie. Die Synergetik, frei übersetzt: die allgemeine Lehre vom kollektiven Zusammenwirken, wird von Weise auf das Problem der gesellschaftlichen Selbstorganisation angewendet. Im Vergleich mit dem individualistischen und dem holistischen Ansatz werden die Stärken und Schwächen des synergetischen Ansatzes herausgearbeitet. Im darauf folgenden Aufsatz wenden Eger und Weise diesen Ansatz auf die Analyse von sozialen Normen an, ein Thema, das heute eine Renaissance erfährt, nachdem die Normen lange Zeit nur Zuschauer des wirtschaftlichen und sozialen Geschehens und fest im Datenkranz verschnürt waren; heute dürfen sie entstehen, sich entwickeln und vergehen, also ein normales Leben führen; es bekommt ihnen sehr gut. In dem Aufsatz wird gezeigt, daß Normen als synergetische, sich selbst stabilisierende Ordner aufgefaßt werden können. Schlicht zeigt in seinem Beitrag unter Verwendung gestaltpsychologischer Konzepte, wie Individuen die Kultur, aber auch die Geschichte, als Ganzheiten wahrnehmen und ihr Verhalten an ihnen ausrichten, unabhängig von der Tatsache, daß diese Ganzheiten aus individuellen Handlungen entstanden sind. Regeln und Verhaltensregelmäßigkeiten zwischen den Menschen haben demgemäß als Muster- und Gestaltwahrnehmung ihre Entsprechung in den einzelnen Menschen. Während diese drei Aufsätze sich vor allem mit der Philosophie der synergetischen Denkweise beschäftigen und weitgehend auf jede Mathematik verzichten, stellt Haag den entsprechenden formalen Apparat vor und erläutert die wesentlichen Bausteine anhand eines Migrationsmodells. Der Leser dieses Aufsatzes ist, nachdem er eingehend die einzelnen Schritte studiert hat, in der Lage, die synergetische Vorgehensweise nachzuvollziehen. Lorenz stellt in seinem Aufsatz die neuesten Entwicklungen der Chaos- und dynamischen Systemtheorie vor. Ohne die schwierige Mathematik zu benutzen, macht er die Vielfalt komplexer kollektiver Phänomene deutlich, die sich teilweise schon aus sehr einfach strukturierten Zusammenhängen ergeben können. Während Synergetik und Chaos- und dynamische Systemtheorie vergleichsweise junge Wissenschaften sind, ist die Spieltheorie die ausgearbeitetste der hier vorgestellten Theorien. Neuere Ergebnisse dieser Theorie, die sich vor allem auf Verfeinerungen des Gleichgewichtsbegriffs beziehen, referiert Seifert-Vogt; darüber hinaus modelliert er eine Fülle von Spielsituationen als Beispiele, um die Konzepte anzuwenden und zu verdeutlichen. Das ökonometrische Instrumentarium, das für die statistische Überprüfung nichtlinearer Modellstrukturen, wie sie in den vorhergehenden Aufsätzen vorgestellt werden, benötigt wird, stellt Kraft in seinem Beitrag dar: Er zeigt, daß auch recht komplizierte Zusammenhänge einer korrekten statistischen Analyse zugänglich gemacht werden können. Die Beziehungen zwischen individuellem Verhalten und kollektiven Phänomenen sind zwar ein Dauerbrenner der Analyse und markieren die Wurzel der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, es gibt aber doch noch, wie die Beiträge dieses Jahrbuchs zeigen, einige neue Einsichten zu gewinnen, die von den traditionellen individualistischen und holistischen Ansätzen nicht geliefert werden. Darüber hinaus versprechen die hier diskutierten neuen Methoden eine Tendenz zu einer Vereinheitlichung der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Denkweise, falls sich nicht nur interessierte Leser, sondern auch eifrige Anwender finden - aber wie oft ist diese Hoffnung schon formuliert worden?! Doch möge der Leser selbst entscheiden. Zuvor muß er aber erst dieses Buch lesen!

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