Beschreibung
Geleitwort des Übersetzers
Rumänien liegt in Europa, ist seit 2007 Mitglied der Euro-päischen Union, ist ein bedeutender Grenzposten der Nato vor der Ukraine – und ist vielen, nicht zuletzt Rumänen selbst, ein
Rätsel geblieben. In diesem Buch wird das Rätsel in all seiner Widersprüchlichkeit ausbuchstabiert. Ana Blandiana ist eine der bedeutendsten Stimmen Rumäniens, ihre Lyrik- und Prosa-
bücher sind in vielen Sprachen, auch auf Deutsch, erschienen. Zu Hause hat sie schon vor 1989 gegen jedes ideologische Diktat eine besondere literarische und moralische Autorität entfaltet. Ihre – oft spektakulär – durch die Zensur geschleusten poetischen und publizistischen Texte wurden nicht nur im Zeichen der Komplizenschaft eifrig gelesen, sondern, handschriftlich vervielfältigt, gewissermaßen zu widerständigem „Volksgut“.
So trat sie nach der Revolution als eine der wenigen Persönlichkeiten an die politische Öffentlichkeit, denen keinerlei Kompromisse mit irgendwelchen Machthabern nachgesagt wurden – und erschien wie wenige prädestiniert, die Freiheit, der sie das Dichterwort geredet hatte, nunmehr in einem zu gründenden Rechtsstaat umzusetzen. Erst recht und konsequent hat sie sich allen einschlägigen Ämtern verweigert, allerdings über ihre Lyrik und Prosa hinaus mit öffentlichen Auftritten und Initiativen inmitten aller postkommunistischen Wirren den Aufbau einer neuen Ordnung zu befördern gesucht. Sie war Begründerin und treibende Kraft der für das wertkonservative Lager lange Zeit mitentscheidenden Bürgerallianz Alian?a Civic?. Die Gedenkstätte Memorial Sighet, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Romulus Rusan unter der Schirmherrschaft des Europarates in einem ehemaligen stalinistischen Gefängnis geschaffen hat, ist neben ihrem schriftstellerischen Werk ein dauerhaftes Zeugnis humanistischen Wirkens über alle politischen Verwerfungen hinweg.
Eine Frau behauptet sich in einem Politik- und einem Literaturbetrieb, die zwar nicht nur von Männern, dafür durchgehend von „mannhafter“ Brutalität und Niedertracht bestimmt sind. Die rauen Unsitten der durch und durch verrotteten und hinterhältig gewalttätigen Ceau?escu-Diktatur feiern höhnische Urständ in einer genauso menschenverachtenden postsozialistischen Konsumgesellschaft. Das gewissenlose Personal von einst hat den Sprung von der ideologisch maskierten zur unverhohlen mafiosen Korruption nachgerade akrobatisch bewältigt. Die in der Verwaltung der Misere eingeübten Fertigkeiten der Apparatschiks, Schergen und Spitzel bewähren sich aufs Unheimlichste in nunmehr obszön offen ausgetragenen Machtkämpfen. Mit anekdotisch untermalten, jedoch schonungslos entlarvenden Rückblicken auf die Trostlosigkeit des Sozialismus schildert Ana Blandiana die vermeintlich neue rumänische Welt, vor allem aber die Mühen, die es kostet, sich von dem zügellosen Missbrauch der Freiheit wahrhaftig frei zu halten.
Ihre eigene Biographie liefert dabei den Stoff für eine Gesamtschau auf die rumänische Nachkriegsgeschichte, deren Dramatik ein ganzes Volk und verschärft seine Intellektuellen dermaßen versehrt hat, dass auch die Revolution von 1989 nicht anders als blutig ausfallen konnte. So hat auch die Folgezeit wenig anderes als schmerzliche Brüche und blankes Elend über die nunmehr umso ratlosere, von gewissenlosen Geschäfte- und Medienmachern verstörte Gesellschaft gebracht. Vielen Menschen ist die Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin begegnet, ob im Kreis der Kollegen oder im „richtigen Leben“, welches das Attribut nur in seiner sarkastischsten Bedeutung je verdient hat. Ob sie beim Namen genannt, mit Initialen versehen oder anonym ihre Erinnerungen bevölkern, alle sind sie gleich der Autorin selbst Opfer von Manipulation und werden gleichwohl notgedrungen zu deren (Mit-)Tätern. So ist dies ein grandioses Buch der herb enttäuschten und gerade deshalb unbeirrt, ja inständig gehegten Hoffnung geworden.
Den Enttäuschungen hat Ana Blandiana nichts als Anstand, Verstand und poetische Sensibilität entgegenzusetzen. In ihrem unbestechlichen Nachdenken allerdings meidet sie jede Bitterkeit. Selbstdisziplin, gestählt in so vielen Auseinandersetzungen mit dem kommunistischen und dem kryptokommunistischen Apparat und dessen Profiteuren vor1989, erst recht aber danach, befähigt sie zu der Einsicht, dass selbst die ärgste Verkrüppelung, die dem Menschen angetan wird, nicht anders ist als eben menschlich. Menschenliebe bedeutet harte Arbeit, die aber hat ein Schriftsteller zu leisten, noch ehe er sich an sich selbst abarbeitet. Dies tut die Autorin mit derselben Disziplin und ohne Beschönigung – verpflichtet nur einer Schönheit, die in der Offenheit und Klarheit des sprachlichen Ausdrucks liegt. Folgerichtig ist darum, dass sie sich – auch auf Nachfrage – ausdrücklich nicht bereitfindet, etwa auf das generische Maskulinum zu verzichten. Ihr Entgegenkommen dem deutschen Leser gegenüber dokumentiert sie dafür mit den in Fußnoten und einem Anhang gebotenen Erläuterungen.
In der Gestalt von Ana Blandiana lebt der europäische Geist Rumäniens, den selbst kluge Landsleute unter den Trümmern der fremdbestimmten, aber auch selbstverschuldeten Vergangenheit verschüttet geglaubt haben. Die Klage über all die Momente historischen Versagens gipfelt bei ihr nie in resignativer Erbitterung, sondern ist stets Anlass zu elegischer Besinnung und rigoroser Reflexion. Weibliche Sanftmut und lyrische Empfindsamkeit gehen einher mit bohrenden Fragen nach den Gründen längst nicht bewältigter Unmündigkeit und dem Umgang damit, dem Ausgang daraus. Die Strahlkraft der Texte verdankt sich dichterischer (Zu-)Gewandtheit ebenso wie sittlicher Standhaftigkeit. Selbst niederschmetternde Urteile über Personen der Zeitgeschichte ebenso wie über rumänische Eigenheiten, die Ana Blandiana einem schwankenden „Volkscharakter“ zuschreibt, geraten ihr zu umsichtig dialektischen, nachgerade verständnisinnigen Plädoyers für Menschlich-Allzumenschliches.
Georg Aescht