Dagmar Dusil fängt in ihrem neuen Roman Das Geheimnis der stummen Klänge die abgrundtiefe Verworfenheit osteuropäischer Zeitumstände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein.
Clara, die zur Adoption freigegebene ungewollte Tochter der Starpianistin Lavinia, entwickelt sich auch zu einer vielversprechenden Klavierspielerin. Von einer erbarmungslosen Inszenierung der gefürchteten rumänischen Geheimpolizei Securitate wird sie als Fünfzehnjährige bei einem Talentwettbewerb zutiefst verletzt und zunächst vom sicher geglaubten Weg der musikalischen Selbstverwirklichung abgebracht. Sie wird Ärztin, arbeitet aber trotz ihrer tiefen Enttäuschung im Stillen weiterhin an der Vervollkommnung ihres Klavierspiels.
Im furiosen Finale treffen Tochter und Mutter, deren Lebenswege sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekreuzt haben, nach vielen Jahren in einem an Dramatik nicht zu überbietenden Showdown erstmals aufeinander.
Roman-Allegro der Extraklasse
Des Menschen Werk und der Securitate Beitrag in Dagmar Dusils Roman„Das Geheimnis der stummen Klänge“
Dieser Roman ist wie ein Erzählkino der Extraklasse. – ein potenzielles Drehbuch für aufregende Genussstunden, getragen von einer eindrucksvollen Mischung aus musikalischen Rauschzuständen, innerfamiliären Notstandsszenarien, eiskalt-kochenden Emotionen, dramatischer Beziehungsunfähigkeit, tragischen Konfrontationen mit dem Staatsterror und erlösender Selbstbefreiuung.
Während der diesjährigen Berlinale wurde im Schweizer Filmbeitrag „Les Paradis de Diane“ eine Protagonistin ins Bild gerückt, die unmittelbar nach der Geburt ihr Neugeborenes verlässt und es radikal ablehnt. Der jahrtausendealte Topos der Mutterliebe wird in diesem Film ähnlich wie in – überraschend unsiebenbürgisch – Dagmar Dusils Roman ins Gegenteil verkehrt: Abneigung und Ablehnung schlagen dem Neugeborenen entgegen. Während aber die Film-Mutter Diane kopflos und destabilisiert in einen bemühten Egotrip flieht und ein retorten-großstädtisches Seelengeschwurbel seinen Lauf nimmt, schaukelt sich in Dagmar Dusils Roman eine mit beachtlichen Spannungsvalenzen besetzte Dramödie auf – ganz wie in einem klassischen Erzählkino.
Verglichen mit Dianes vermeintlichem Paradies ist „Das Geheimnis der stummen Klänge“ geradezu erdenschwer und zupackend. Hier wird gelitten, aber es wird auch agiert, hier wird nicht nur reflektiert, es wird auch gehandelt. Hier werden Verstrickung und Schicksal nicht im selbstbezogenen schlaffen Seelenquatsch ertränkt, sondern sie werden in eine herkömmliche, uns fast schon fremd gewordene, packende Handlung eingebunden. Was sich in einem erregend-dramatischen Erzählstrang niederschlägt, der zwar durch Rückblenden, Aussparungen und Zeitebenenwechsel in seiner Linearität nicht sofort erkennbar ist, aber aufs Ganze gesehen klassisch daherkommt: Exposition, Schürtzung des Knotens, Steigerung der Handlung, Katastrophe und Lösung. Nicht zu vergessen die finale Katharsis, angeregt vom erlösenden „Epilog“! Das ist mir als Leseerfahrung schon lange nicht mehr untergekommen. Eine zweitausend Jahre alte Rezeptur, aber unverändert ein Erfolgsrezept!
Die Starpianistin Lavinia ist die „Frucht“ der Vergewaltigung eines bildhübschen Romamädchens. Durch wen, soll aus Gründen der Spannungsdramaturgie nicht verraten werden, aber es ist für Kenner ein erzählerischer Leckerbissen. Sie selbst wird bei einem emotionsarmen, aber gierigen One-Night-Stand ungewollt schwanger (bei uns Siebenbürgern heißt es griffiger: sie bleibt schwanger), bringt das Kind in einer perfekt funktionierenden Regiekulisse der Securitate – man staune! – zur Welt und gibt es ungesehen und angewidert zur Adoption frei.
Die Ingredienzien einer turbulenten Romanhandlung könnten nicht besser gewählt sein: Vergewaltigung, europaweit striktestes Abtreibungsverbot, zerstörerische Geheimdienstmachenschaften, Kindesablehnung und Adoption, euphorisierender Musikrausch, gnadenlose Ahndung des „Vaterlandsverrats“ bei Flucht in den freien Westen, Mord usw. Es sind prall gefüllte „Lebensakte“ in einem Personengeflecht, das von Dagmar Dusil gekonnt sequenziert in Szene gesetzt wird.
Die Autorin fängt in ihrem neuen Roman Das Geheimnis der stummen Klänge die abgrundtiefe Verworfenheit südosteuropäischer Zeitumstände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. Sie zeichnet das Leben zweier Frauen nach, die sich leidenschaftlich dem virtuosen Klavierspiel verschrieben haben. Sie sind Mutter und Tochter, wissen aber fast bis zum Schluss der Erzählung nichts voneinander, weil sie durch die malignen gesellschaftlichen Verhältnisse frühzeitig getrennt werden. Beide müssen sie Opfer bringen und ungeahnte Hürden überwinden, damit sie ihren Traum vom Einswerden mit der Musik verwirklichen können. Sie leben teils in Siebenbürgen an der Peripherie Europas teils in Deutschland.
Die zeittypischen tektonischen Verwerfungen in der Gesellschaft bestimmen die Schicksale Lavinias, der Mutter, und Claras, der Tochter, in einem Ausmaß, das heutige Leser schwerlich nachvollziehen können. Die Protagonistinnen sind von Lüge und Betrug, von Niedertracht und Ungerechtigkeit eingepfercht. Aber andererseits begegnen ihnen auch Freundschaft und Liebe, was sie davor bewahrt, ihre Hoffnungen und Träume aufzugeben. Eine Befreiung, gar eine Selbstbefreiung, aus schicksalhaft deformierenden Zwängen scheint zunächst schier unmöglich zu sein. Dennoch schafft jede von ihnen es, den eigenen Lebensweg einzuschlagen und zum festgefügten Ich zu finden.
Im furiosen Romanfinale treffen Tochter und Mutter, deren Lebenswege sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekreuzt haben, nach vielen Jahren und mannigfaltigen Peripetien in einem an Dramatik nicht zu überbietenden Showdown zum ersten und wohl auch zum letzten Mal aufeinander. Danach gehen alle Beteiligten auseinander. Jeder von ihnen um existentielle Erfahrungen reicher, jeder von ihnen von den Illusionen und Träumen des Lebens nachhaltig kuriert, jeder von ihnen fü ein neues, weniger kompliziertes und teilweise moralisch weniger belastetes Dasein gewappnet.
Die Besonderheit an der Erzählweise Dagmar Dusils ist, dass sie über weite Strecken packend im szenischen Präsens und nicht wie üblich im etwas angestaubten Imperfekt erzählt. In manchmal ausufernden Aneinanderreihungen von Sätzen, die wie innere Monologe wirken, erschließt sie für den Leser ergiebige Psychogramme der Personen – mal erzählerisch beklemmend und eindringlich geschildert, mal poetisch verstörend und filmisch sequenziert, aber allemal subtil und detailtreu in der Linienführung. Oder um es in der Diktion des Hauptmotivs des Romans, des Kavierspiels, zu sagen, sowohl fröhlich und unbeschwert in Dur- als auch trübe und traurig in Moll-Akkorden.
Des Menschen Werk und der Securitate Beitrag in Dagmar Dusils Roman„Das Geheimnis der stummen Klänge“
Dieser Roman ist wie ein Erzählkino der Extraklasse. – ein potenzielles Drehbuch für aufregende Genussstunden, getragen von einer eindrucksvollen Mischung aus musikalischen Rauschzuständen, innerfamiliären Notstandsszenarien, eiskalt-kochenden Emotionen, dramatischer Beziehungsunfähigkeit, tragischen Konfrontationen mit dem Staatsterror und erlösender Selbstbefreiuung.
Während der diesjährigen Berlinale wurde im Schweizer Filmbeitrag „Les Paradis de Diane“ eine Protagonistin ins Bild gerückt, die unmittelbar nach der Geburt ihr Neugeborenes verlässt und es radikal ablehnt. Der jahrtausendealte Topos der Mutterliebe wird in diesem Film ähnlich wie in – überraschend unsiebenbürgisch – Dagmar Dusils Roman ins Gegenteil verkehrt: Abneigung und Ablehnung schlagen dem Neugeborenen entgegen. Während aber die Film-Mutter Diane kopflos und destabilisiert in einen bemühten Egotrip flieht und ein retorten-großstädtisches Seelengeschwurbel seinen Lauf nimmt, schaukelt sich in Dagmar Dusils Roman eine mit beachtlichen Spannungsvalenzen besetzte Dramödie auf – ganz wie in einem klassischen Erzählkino.
Verglichen mit Dianes vermeintlichem Paradies ist „Das Geheimnis der stummen Klänge“ geradezu erdenschwer und zupackend. Hier wird gelitten, aber es wird auch agiert, hier wird nicht nur reflektiert, es wird auch gehandelt. Hier werden Verstrickung und Schicksal nicht im selbstbezogenen schlaffen Seelenquatsch ertränkt, sondern sie werden in eine herkömmliche, uns fast schon fremd gewordene, packende Handlung eingebunden. Was sich in einem erregend-dramatischen Erzählstrang niederschlägt, der zwar durch Rückblenden, Aussparungen und Zeitebenenwechsel in seiner Linearität nicht sofort erkennbar ist, aber aufs Ganze gesehen klassisch daherkommt: Exposition, Schürtzung des Knotens, Steigerung der Handlung, Katastrophe und Lösung. Nicht zu vergessen die finale Katharsis, angeregt vom erlösenden „Epilog“! Das ist mir als Leseerfahrung schon lange nicht mehr untergekommen. Eine zweitausend Jahre alte Rezeptur, aber unverändert ein Erfolgsrezept!
Die Starpianistin Lavinia ist die „Frucht“ der Vergewaltigung eines bildhübschen Romamädchens. Durch wen, soll aus Gründen der Spannungsdramaturgie nicht verraten werden, aber es ist für Kenner ein erzählerischer Leckerbissen. Sie selbst wird bei einem emotionsarmen, aber gierigen One-Night-Stand ungewollt schwanger (bei uns Siebenbürgern heißt es griffiger: sie bleibt schwanger), bringt das Kind in einer perfekt funktionierenden Regiekulisse der Securitate – man staune! – zur Welt und gibt es ungesehen und angewidert zur Adoption frei.
Die Ingredienzien einer turbulenten Romanhandlung könnten nicht besser gewählt sein: Vergewaltigung, europaweit striktestes Abtreibungsverbot, zerstörerische Geheimdienstmachenschaften, Kindesablehnung und Adoption, euphorisierender Musikrausch, gnadenlose Ahndung des „Vaterlandsverrats“ bei Flucht in den freien Westen, Mord usw. Es sind prall gefüllte „Lebensakte“ in einem Personengeflecht, das von Dagmar Dusil gekonnt sequenziert in Szene gesetzt wird.
Die Autorin fängt in ihrem neuen Roman Das Geheimnis der stummen Klänge die abgrundtiefe Verworfenheit südosteuropäischer Zeitumstände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. Sie zeichnet das Leben zweier Frauen nach, die sich leidenschaftlich dem virtuosen Klavierspiel verschrieben haben. Sie sind Mutter und Tochter, wissen aber fast bis zum Schluss der Erzählung nichts voneinander, weil sie durch die malignen gesellschaftlichen Verhältnisse frühzeitig getrennt werden. Beide müssen sie Opfer bringen und ungeahnte Hürden überwinden, damit sie ihren Traum vom Einswerden mit der Musik verwirklichen können. Sie leben teils in Siebenbürgen an der Peripherie Europas teils in Deutschland.
Die zeittypischen tektonischen Verwerfungen in der Gesellschaft bestimmen die Schicksale Lavinias, der Mutter, und Claras, der Tochter, in einem Ausmaß, das heutige Leser schwerlich nachvollziehen können. Die Protagonistinnen sind von Lüge und Betrug, von Niedertracht und Ungerechtigkeit eingepfercht. Aber andererseits begegnen ihnen auch Freundschaft und Liebe, was sie davor bewahrt, ihre Hoffnungen und Träume aufzugeben. Eine Befreiung, gar eine Selbstbefreiung, aus schicksalhaft deformierenden Zwängen scheint zunächst schier unmöglich zu sein. Dennoch schafft jede von ihnen es, den eigenen Lebensweg einzuschlagen und zum festgefügten Ich zu finden.
Im furiosen Romanfinale treffen Tochter und Mutter, deren Lebenswege sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekreuzt haben, nach vielen Jahren und mannigfaltigen Peripetien in einem an Dramatik nicht zu überbietenden Showdown zum ersten und wohl auch zum letzten Mal aufeinander. Danach gehen alle Beteiligten auseinander. Jeder von ihnen um existentielle Erfahrungen reicher, jeder von ihnen von den Illusionen und Träumen des Lebens nachhaltig kuriert, jeder von ihnen fü ein neues, weniger kompliziertes und teilweise moralisch weniger belastetes Dasein gewappnet.
Die Besonderheit an der Erzählweise Dagmar Dusils ist, dass sie über weite Strecken packend im szenischen Präsens und nicht wie üblich im etwas angestaubten Imperfekt erzählt. In manchmal ausufernden Aneinanderreihungen von Sätzen, die wie innere Monologe wirken, erschließt sie für den Leser ergiebige Psychogramme der Personen – mal erzählerisch beklemmend und eindringlich geschildert, mal poetisch verstörend und filmisch sequenziert, aber allemal subtil und detailtreu in der Linienführung. Oder um es in der Diktion des Hauptmotivs des Romans, des Kavierspiels, zu sagen, sowohl fröhlich und unbeschwert in Dur- als auch trübe und traurig in Moll-Akkorden.
Die Romankulisse ist überwiegend siebenbürgisch. Hermannstadt ist der Hauptort. Klausenburg, Katzendorf, Rîmnicul Vîlcea sind Nebenschauplätze. In Bamberg wird gewohnt und gearbeitet, in Bella Venezia wird konzertiert und eine frühe Liebe spät nachgeholt – alles Schauplätze, wo Dagmar Dusil gewandt den jeweiligen Genius loci heraufbeschwört und für ihre Erzählung instrumentalisiert. Aber die Beschaffenheit des Erzählmaterials, die Erzählstruktur, der Wechsel der Zeitebenen, der Sprachduktus, das spannungsfördernde Erzählarrangement sind unsiebenbürgisch, sie sind weltläufig entgrenzt.
Dagmar Dusil hat mit ihrem Roman den Sprung aus dem siebenbürgischen Klein-Klein in die maßgebliche großeuropäische Dimension geschafft, und sie wird wahrscheinlich auch die Leser mitreißen!
In enggekammerten Diasporacommunities wie die der Siebenbürger-Sachsen und der Banater Schwaben gelten mehr als sonstwo strenge Regeln und strikte Rituale. Deren Einhaltung auch gnadenlos überwacht werden. Deshalb soll hier noch abschließend ein Gruß an die literarischen Qualitäts- und Sittenwächter gerichtet werden. Ist der Roman große Literatur? Nein. Ist er mediokres Zeug? Auch nicht. Ist er obere Mittelklasse? Das wird dem Ganzen schon gerechter. – Sind das aber wirklich Fragen, die ein Publikum interessieren, das nach einem spannenden und unterhaltsamen Roman sucht? Das in einem Rezeptionsraum heimisch ist, der paradigmatisch von den sonntäglich Abermillionen von „Tatort“-Genießern geprägt wird? Wohl eher nicht. Das breite Leserpublikum, das dem Roman zu wünschen ist, bestimmt nicht den literar-ästhetischen Fortschritt, an dem der Literaturbetrieb so großes Interesse hat, weil er von der Überwachung und Einhaltung der Hackordnung lebt, sondern es entscheidet maßgeblich über die Lebendigkeit eines Literaturbetriebs und … die Verkaufszahlen. Und das sind zwei der entscheidenden Fragen eines dynamischen Literaturprozesses. Win – win - win? Ja, eindeutig, für Leser, Autorin – und hoffentlich auch für den Verlag!
Walter Fromm