Beschreibung
68, immer schon Gegenstand heftiger Kritik von rechts, ist in den letzten Jahren zur Zielscheibe linker Kritik geworden. Die 68erInnen, so wird von einigen Historikern - darunter ehemalige Aktivisten der Bewegung - behauptet, seien allen Legenden zum Trotz in Wahrheit ihren Nazi-Eltern schrecklich ähnlich gewesen: in ihrem Denken, in ihrem Handeln und in ihrer verhängnisvollen Neigung zu politisch motivierter Gewalt. Im Spannungsfeld solcher Anwürfe und Kontroversen führte die Autorin Gespräche mit beteiligten ZeitzeugInnen und InitiatorInnen der 68er-Bewegung. Sichtbar werden Kontinuitäten und Brüche im Selbstfindungsprozess einer politischen Generation, zu deren einschneidenden frühen Erlebnissen eine Kindheit im Krieg, die Trümmerlandschaften der Nachkriegszeit und die Konfrontation mit den Verbrechen des Nationalsozialismus gehören. Das herrschende Erinnerungstabu in der politischen Kultur der 50er und 60er Jahre und das Schweigen in den Familien über die eigene Beteiligung verdichten sich für die Nachgeborenen zu einem Szenario, in dem der Faschismus nicht als Vergangenheit, sondern in den politischen Auseinandersetzungen und in der Konfrontation mit einer feindseligen Bevölkerung als aktuelle Bedrohung erlebt wird. Dies wird zur explosiven Triebkraft einer Revolte, die in der deutschen Nachkriegsgeschichte einzigartig ist.
Autorenportrait
Karin Wetterau, Jahrgang 1945, studierte Germanistik und Geschichte an den Universitäten Kiel und Berlin und erlebte den studentischen Aufbruch als beteiligte Zeitzeugin an der Freien Universität. Nach dem Ersten und Zweiten Staatsexamen arbeitete sie zunächst als Lehrerin in der ErzieherInnen-Ausbildung in Berlin, danach viele Jahre als Lehrerin im Zweiten Bildungsweg und am Gymnasium in Bielefeld. Seit Anfang der 1990er Jahre war sie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld als Lehrbeauftragte und als Lehrerin im Hochschuldienst in den Lehramtsstudiengängen Sozialwissenschaften tätig mit den Schwerpunkten Politische Bildung und Geschlechterverhältnisse. Sie lebt in Bielefeld und Italien.
Inhalt
Einleitung
Ein Mythos wird besichtigt – 68 im Spiegel der Erinnerungen
Das 40. Dienstjubiläum
Rechtskurven – ein Exkurs
Aktion und Erinnerung – die ZeitzeugInnen
Kriegskinder – Eine vergessene Generation?
Eine ganz eigene Art der Entfremdung
Der Ausgangspunkt aller Fragen
Give me chocolate – Feinde, Freunde und Folklore
Kindheit im Zeitalter der Extreme
Täterkinder – Stille Post und Stolpersteine. Nationalsozialismus als unbewältigte Familiengeschichte
Hannah Arendt trifft Heidegger. Ambivalenzen im Schatten der Schuld
Wir besitzen keine Vergangenheit, die lebendig zu uns gehörte. Leerstellen im Familienalbum
Er ist nicht abtransportiert worden, das steht schon mal fest. Plädoyer für einen verlorenen Vater
Retter in der Nacht. Eine widersprüchliche Familiengeschichte
Es war ja viel einfacher über die Guerilla in Lateinamerika zu reden. Die vertagte Aufarbeitung
Fanatische Söhne, fanatische Väter. Die doppelte Aufkündigung des Generationenvertrags
Erinnerungssplitter. Der unvollendete Familienroman
Wir haben mit Nazitum nichts zu tun, der Zigarettenmilliardär war’s. Die Entsorgung der Vergangenheit von links
Suchbewegung und Konfrontation – Die doppelte Vergegenwärtigung des Vergangenen
Man tastete sich an das Ungeheure heran. Erkundungen auf vermintem Gelände
Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen. Eine theoretische Annäherung
Wir standen mit dem Rücken zur Wand. Erinnerungen an einen Polizeistaatsbesuch
Neue Väter, neue Menschen – Der kurze Sommer der Euphorie
Ein Großereignis der Theorie oder die Geburt des revolutionären Subjekts aus dem Geist der Utopie
Die Pflicht jedes Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen. Eine Mission im Dickicht der Städte
Ideologische Chiffren oder die falschen Fährten der Theorie
Linke Identität und nationale Frage – Anmerkungen zur Renaissance eines Auslaufmodells
Linker Antisemitismus und die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus. Sackgassen der Eindeutigkeit
Kollektive Verzweiflung und neue Horizonte – Die Revolte entlässt ihre Kinder
Was tun? Proletarisches Kostümfest oder die Wiederholung der Tragödie als Farce
Wir waren die klügsten Studenten und hatten die schönsten Frauen. Ein Männerprojekt gerät unter Beschuss oder der Beginn der Neuen Frauenbewegung
Und alle Fragen offen? – Eine Schlussbetrachtung
Interview-TeilnehmerInnen
Bildnachweis
Literaturverzeichnis