Beschreibung
Der Zauber der Spätgotik in einer neu entdeckten Tapisserie Aufgrund der französischen Lilien und der Sonnensymbolik kann eine bisher unbekannte, 2010 durch den Louvre erworbene spätgotische Tapisserie Charles VII zugewiesen werden. Wie historische Ereignisse nahelegen, dürfte sie in Flandern im Zeitraum zwischen 1453 und 1461 entstanden sein. Stilvergleiche mit der Buchund Tafelmalerei verweisen den Entwurf in die künstlerische Nähe zu Jean Fouquet, welcher auch für das bedeutende Bildnis von Charles VII im Louvre verantwortlich ist. Die englische Besetzung Frankreichs während des Hundertjährigen Kriegs hinderte den Dauphin daran, als Charles VII die rechtmässige Thronfolge anzutreten. Er musste als roi de Bourges - wie ihn seine Gegner hämisch nannten - so lange auf die Königswürde warten, bis ihn die Jungfrau von Orléans, Jeanne dArc, 1429 zu seiner Krönung nach Reims führte und damit den Weg ebnete für die Befreiung Frankreichs von der Suprematie Englands. Der Krönungsritus, der sacre du roi, kommt als Anlass für den Auftrag der Tapisserie jedoch aus stilistischen Gründen nicht in Frage, vielmehr muss der Thronbehang nach dem Friedensschluss mit England (1453) und vor dem Tod von Charles (1461) entstanden sein. Charles VII wäre die Befriedung und der Aufstieg seines Reichs zu einer geeinten Nation nicht gelungen, hätte er sich nicht auf die Loyalität und materielle Unterstützung seines Hofstaats verlassen können. Die Ausleuchtung seines Umfeldes lässt ein dichtes Gefüge von menschlichen Beziehungen sichtbar werden, welche auch Charles Mentalität, seine Stärken und Schwächen verständlich machen. Der Behang mit der Funktion einer Thronrückwand erfüllte den Legitimationsanspruch dieses französischen Königs auch noch mehr als zwanzig Jahre nach seiner Krönung und unterstrich dessen immerwährenden Status als «Herrscher von Gottes Gnaden».
Autorenportrait
Monica Stucky-Schürer lebt seit 1978 als freischaffende Kunsthistorikerin mit ihrer Familie in Basel. Seit ihrer Dissertation («Die Passionsteppiche von San Marco in Venedig», Bern 1972) hat sie sich immer wieder mit der Tapisseriegeschichte des 14. bis 16. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Neben vielen selbständigen Monographien und Aufsätzen entstanden zwei Corpuswerke in Zusammenarbeit mit Anna Rapp Buri: «zahm und wild. Basler und Strassburger Bildteppiche des 15. Jahrhunderts» (Mainz 1990) und «Burgundische Tapisserien» (München 2001).