Beschreibung
Dem aus prekärem Milieu in Hamburg St. Pauli stammenden Tänzer und Choreografen Jean Weidt gelang in obsessivem Kampf gegen existenzielle und intellektuelle Hindernisse ein künstlerisches Durchhaltevermögen humanitärer Ausrichtung. Seine Tänze waren politisch von linkem Engagement, technisch von der Tanzpantomime und künstlerisch von Surrealismus und Psychoanalyse geprägt. Der Weg des Tänzers führte über Berlin ins Exil nach Moskau, Prag und Paris in Gefangenschaft und Kriegsdienst gegen den Hitlerfaschismus. Den künstlerischen Höhepunkt erreichte Weidt 1947 beim Concours International de la Danse mit dem Tanzstück Die Zelle. In der mit dem 1. Preis ausgezeichneten Choreografie kulminierte seine auch von filmischen Mitteln wie dem 'flashback' geprägte Ästhetik, die ihm jedoch auf seinem weiteren Weg in die DDR zum Verhängnis wurde. Im letzten Lebensabschnitt setzte er sich in Ostberlin mit seiner Gruppe junger Tänzer für eine einzigartige Verbindung von Laien- und Bühnentanz und den Austausch mit dem Westen ein. Weidt wurde immer wieder übersehen. Er passte selten in gängige Wahrnehmungsschablonen der Zeitgenossen, der Tanzhistoriker und der linken Ideologen. Seine Freunde waren Freidenker aus Literatur und bildender Kunst. Sie verfassten ihm Libretti, portraitierten ihn und seinen Tanz, schufen Masken und machten ihm Mut.
Autorenportrait
Dr. phil. Nele Lipp, 1948*, interdisziplinär arbeitende Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin. Kunststudium bei Gerhard Rühm, Franz Erhard Walther und Bazon Brock. Freie Tanz/Kunst-Produktionen u. a. in der Hamburger Kunsthalle, dem Ernst Osthaus Museum, Hagen und auf der EXPO2000, Hannover. 1976 Geburt des Sohnes Lauritz Lucian. Seit 1993 freie journalistische Tätigkeit. Organisation des Festivals AUFTAUCHEN, 2000-2008 Organisation der Symposionsreihe *BAU *KÖRPER *BEWEGUNG zur Thematik der Verbindung von Tanz und Architektur. 2001-2005 erste Vorsitzende der Gesellschaft für Tanzforschung e. V. Gemeinsam mit Krassimira Kruschkova Herausgabe des GTF-Jahrbuchs 'tanz anderswo' (Hamburg 2004). Ausführlicher lexikalischer Katalogbeitrag in: Uwe Rüth: Tanz Skulptur Raum (Marl 2006) 2010 Kuratierung der Ausstellung Tanz im Hamburg der 1920er-Jahre und Inszenierung der Welturaufführung der Tanzpantomime Die zerbrochenen Spiegel (1926) von Klaus Mann (in Kooperation mit Karsten Wiesel und Christiane Meyer-Rogge). 2013 Kuratierung der Ausstellung Treffpunkt Tante Clara. Hamburgs Sphinx in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg und Promotion bei Prof. Dr. Michael Diers zum Thema Tanz und Bildende Kunst. Aspekte der Wechselbeziehung. 2014 Erfindung des Formats 'KOINZI-Box' und Herausgabe von Sometimes madness is wisdom in dieser Reihe.