Beschreibung
Aber auch das zeitliche oder, was- dasselbe bedeutet, das psychologische Prius, besteht nicht so unbedingt, wie man meinen könnte. Denn auch rein psychologisch genommen setzt das auf ästhetische Wirkung ausgehende Kunstschaffen (und nur ein solches rechneten wir ja zur Kunst im engeren, hier behandelten Sinne) bereits ein in der Vorstellung vorweggenommenes ästhetisches Genießen voraus, und der schaffende Künstler wird in seinem Gestalten stets von solchen vorwegnehmenden Rücksichten auf ein Genießen zum mindesten mitbestimmt, ja er ist selbst der erste Genießende. [.] Eine Psychologie des Kunstschaffens wird also nicht bloß den Künstler auf den heiteren Pfaden, auf denen er seinen Träumen nachwandelt und wo ihm aus den Tiefen seiner Seele die Vision des künftigen Werkes aufblitzt, begleiten dürfen, sondern wird ihm an den Schreibtisoh und ins Atelier folgen müssen, wo in oft schwerer Arbeit, unter hundertfältigen Versuchen, über Stunden des Verzagens und der Verzweiflung, physischer und psychischer Höchstanstrengung hinweg, das Werk der Vollendung zureift. Und man wird sich dabei stets der früher aufgedeckten Verwicklungen des Kunstgenießens bewußt sein müssen, auf daB, wenn auch nicht klar hewußt, so doch instinktmäßig der schaffende Künstler Rücksicht nehmen muß, neben, wenn auch nicht über den ebenso verwickelten Antriehen, die ihn aus dem eignen Leben heraus zum Schaffen drängen. [Auszug aus dem Buch]
Autorenportrait
Richard Müller-Freienfels wurde 1882 geboren und starb 1949. Er war ein deutscher Psychologe und Professor für Psychologische Pädagogik. Eines seiner wichtigsten Werke ist eine dreiteilige Psychologie der Kunst.