Beschreibung
In der Aufarbeitung der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist bisher vor allem der Opferstatus Polens betont worden. Diese Sicht ist zwar über weite Strecken zutreffend, bleibt aber blind für die Tatsache, dass Polen nach dem Maiputsch von 1926 einem autoritären Regime unterstand, das sich auf einen nationalistischen Konsens stützen konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich Polen in kurzer Zeit von einem von fremden Mächten okkupierten Territorium zu einem autonomen Staat mit imperialen Ansprüchen gewandelt. Trotzdem herrschte ein Gefühl der Benachteiligung vor. Eine offene Wunde war der schmale Ostseezugang bei Gdynia, außerdem blieben auch die litauische und die ukrainische Frage ungeklärt. Nationalistische Eroberungskriege wie die Okkupation Wilnos oder Pilsudskis abenteuerlicher Feldzug nach Kiew stießen in der polnischen Öffentlichkeit auf breite Zustimmung. Ulrich Schmid untersucht in seiner Studie zum Faschismus in Polen (1926-1939) die Rolle verschiedener Institutionen (Staat, Kirche, Zeitschriften) bei der Herausbildung des nationalistischen polnischen Gesellschaftsprojekts. Zudem werden die Ausprägungen dieses Diskurses in Literatur, Malerei, bildender Kunst und Architektur nachgezeichnet und auf ihre rhetorischen Verfahren und das dahinter stehende Weltmodell hin befragt. Dabei zeigt sich, dass die polnische Nation nicht einfach als Staatsgebilde, sondern als organischer Körper imaginiert wurde, der über einen heroischen Lebensweg und einen idyllisch verklärten Lebensraum verfügte.